Hier sang ein Nobelpreisträger
Bob Dylan verzaubert 7500 Fans in der Berliner Arena
Eine der vielleicht schönsten Geschichten von
Bob Dylan geht so: Einer der drei Könige stellte einem gewissen
Frank die Frage, ob er der Schlüssel zu Dylans neuester Schallplatte
sei. "Stimmt " , sagte Frank, "das bin ich. " "Nun denn " , sagte
der König ziemlich erwartungsvoll, "könntest du uns bitte den Sinn
erschließen? " Frank, der die ganze Zeit mit geschlossenen Augen im
Lehnstuhl gelegen hatte, riss nun beide Augen weit auf wie ein
Tiger. "Und wie weit möchtet ihr da wohl hinein? " , fragte er, und
die drei Könige sahen einander an. "Nicht allzu weit, nur gerade
weit genug, dass wir sagen können, wir waren drin gewesen " , sagte
der erste Häuptling.
von Gottfried Blumenstein
Das können nun immerhin 7500 Berliner und zahlreiche Gäste von
außerhalb. Sie waren alle drin in der ausverkauften Arena, etliche
ganz weit vorn an Bobs Lippen hängend, andere in gebührendem
Abstand. Und sie erlebten das möglicherweise beste Konzert, das Bob
Dylan jemals in Berlin gegeben hat. Und Dylan war schon häufig hier
gewesen. Wir erinnern uns, dass gerade Berlin für Dylan immer ein
besonderes und manchmal auch ganz heißes Pflaster war. Geradezu
berüchtigte "Qualitäten" zeitigte das 1978er Konzert in der
"selbständigen politischen Einheit West-Berlin " . Da hatte sich die
linke Schickeria vorgenommen, Dylan fertigzumachen und man kam
mit Tomaten, Eiern und Farbbeuteln ins Konzert und entledigte sich
johlend all diesen Unrats. 1987 hatte die FDJ zum Konzert geladen,
über 100000 euphorisierte DDR-Menschen kamen in den Treptower Park
und erlebten einen alkoholschwangeren Grottengig des Meisters, der
die Stimmung schwer niederdrückte. Vielleicht auch besser so, denn
damals war die DDR für den massenhaften Sturm auf die Mauer noch
nicht vorbereitet, das wäre nicht so glimpflich abgelaufen wie zwei
Jahre später. Wie auch immer, das ist Geschichte. Dylan ist
mittlerweile Nobelpreiskandidat für Literatur, im nächsten Monat
wird er 61 Jahre alt, und er steht derzeit im Zenit seines Könnens.
Fast jeden Tag bis in den Sommer hinein wird er auf der Bühne
stehen. Er und seine Band werden in den ersten Minuten die Lage
checken, man wird ohne viel Federlesens in die Saiten greifen, und
los geht das Konzert. Wenn die Atmosphäre gut ist, wird er sich
reinhängen und das Beste geben. Wenn nicht, wird er sich eher
zurücklehnen und den Dingen ihren schaumgebremsten Lauf lassen.
Dylan-Konzerte werden spontan, so oder so, entschieden, beruhen auf
Gegenseitigkeit. Wer gibt, der bekommt auch was zurück. Und das
Arena-Publikum hatte jede Menge zu geben, da war sehr viel Herz im
Spiel, aber auch reichlich Verstand und eben Kennerschaft. Man
erkannte die Songs, obwohl sie gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit
verbessert wurden. Etwa das großartige "Visions of Johanna". Auch
"The Wicked Messenger", "Boots Of Spanish Leather" oder "Masters of
War” kamen meilenweit vom "Original " voll zu Geltung. Bei "All
Along The Watchtower " , das mit einem leichten Latino-Step
daherkam, flippten wir regelrecht aus. Der Sound war exzellent (in
einer Halle, die akustisch ansonsten eher dürftig ist). Unbändige
Spiellaune aller Beteiligten beherrschte die Szene. Es gab keinen
Bühnen-Firlefanz, Dylan lugte nur verschmitzt hinter seinem Hut vor.
Der neue Drummer drosch sich die Seele aus dem Leib, die beiden
Gitarrenzupfer übertrafen sich selbst, und der Bassist setzte ein
ordentlichen Fundament hin. Dylans Stimme war in den tiefen Regionen
fast gebrochen, in der Höhe aber ziemlich standfest und insgesamt
eine schöne Höranstrengung. Die Song-Auswahl war in jedem Fall eine
Offenbarung, war wirklich was für Kenner und nach sage und schreibe
zweieinhalb Stunden war Schluss. Das war möglicherweise das
definitiv längste Dylan-Konzert, das je in Deutschland stattgefunden
hat. Und Bob Dylan hatte zudem auch noch den Hammer ausgepackt. In
der Zugabe kam "Like a Rolling Stone" herangeflogen, auf
zartfühlenden Engelsschwüngen. Im Ausdruck nicht so gemein und
hasserfüllt wie jene Version des legendären 1966er
Manchester-Konzerts (jahrzehntelang als Raubkopie hin und
hergeschoben, mittlerweile offiziell veröffentlicht), sondern eher
zurückhaltend und defensiv. Unsereiner swingte sich schon ein
bisschen genussvoll ein in diesen wundervollsten aller Dylan Songs
und erwartete frohgemut den Refrain der kam natürlich. Aber
gleichzeitig gingen langsam die Spots auf der Bühne an, drehten sich
zum Publikum hin und strahlten unsereinem schließlich brutal auf die
Linse. Ein alter Theatertrick das, den man üblicherweise müde
belächelt, der hier völlig unvorbereitet einschlug. So wurden wir
insgesamt dreimal im lichterlohen Scheinwerferspot geradewegs, ohne
Möglichkeit, sich feige wegzuducken, gefragt: "How does it feel?".
Tja, wie fühlen wir uns denn, so einsam und allein wie ein rollender
Stein? Ein gute Frage: Die Frau ist mit einem Möbelverkäufer
durchgebrannt, wir selber hängen an der Flasche und versaufen das
letzte bisschen Verstand. Unsere lieben Kleinen ziehen
wohlstandsverwahrlost durch die Straßen und knacken Autos just for
fun. Unsere Chefs sind geldgierige Knalltüten, die Regierenden sind
entweder schleimige Scharlatane oder untalentierte Kriminelle oder
am besten gleich alles zusammen und posieren eitel am Abgrund vor
laufenden Kameras. Wie sollen wir uns schon fühlen, wenn alles den
Bach runtergeht? Ganz ehrlich, Bob, nicht so besonders. Das
schlussendliche Ende war mit "Highway 61 Revisited " stimmungsmäßig
ein bisschen aufmunternd, zu spät. Da standen den Besten von uns
längst die Tränen in den Augen, die Verzweiflung im Gesicht und das
nahe Weltende auf der Stirn. Danke Bob, dass du uns daran erinnerst
hast. |