Kultur / 18.04.2002
Fortschreitend
stummer
Bob Dylan
beschränkt sich auf Sprechgesang
Vielleicht hat dieser Mann heute noch keinen Ton
gesprochen. Vielleicht gab es keinen Anlass zu sprechen.
Vielleicht drückt sich Bob Dylan nur noch in Gesten aus, wenn
überhaupt. Wie sonst wäre es zu erklären, dass seine Stimme in
der Stuttgarter Schleyerhalle mit einem krächzenden
»Hallelujah, I'm Ready To Go« erst mal eingesprochen werden
muss. Mit einem »The Times They Are A-Changin'« geht es in
freier Rede weiter, und es bleibt auch an diesem Abend
rätselhaft, wohin die Zeiten sich verändern. Sicher in
Richtung Sprechgesang, denn kein Ton deutet auf die
ursprüngliche Melodie des Liedgutes hin. Die Freude am
Wiedererkennen stellt sich selten ein, oft genug gar nicht.
Bob Dylan beschränkt sich auf das Wesentliche, und da wäre
Singen fast schon zu viel des Guten.
Die Fans feiern sein fortschreitendes Verstummen
als weise Interpretation des Lebens oder was auch immer.
Zwanzig flüchtig hingehauchte Versionen aus seinem 600 Songs
umfassenden Repertoire erschließen die gewaltige Dimension.
Verständlich ist die Abkehr von der schönen Melodie angesichts
des inflatorischen Abspulens: »Like A Rolling Stone« wurde 1
008 Mal gesungen (Stand Februar 2002), als zweite Zugabe
erneut in Stuttgart. Zu der Rätselhaftigkeit gehört auch, dass
Dylan mit zunehmender Stimmlosigkeit die Zahl seiner Konzerte
nur noch erhöht.
Und dennoch sind es zwei wertvolle Stunden. Das
Gesamtkunstwerk Dylan wechselt mehrmals zwischen Akustik- und
E-Gitarre hin und her und geht für seine Verhältnisse
ausgesprochen gut gelaunt, ja fast euphorisch zu Werke. Ein
rockiges, wunderbar gitarrenlastiges »Highway 61 Revisited«
bringt den ersten populären Höhenflug, nachdem die Band mit
Stücken aus dem aktuellen, nunmehr 43. Album (»Love and
Theft«) zu erkennen gegeben hat, wo die musikalischen
Präferenzen liegen. Der sorgsam ausgesuchte Genre-Mix wechselt
hin zu Blues und Country und endet in einem lang gezogenen
»Rainy Day Women«, bevor die Scheinwerfer auf die Zuschauer
gerichtet sind: »How does it feel« kann alles oder nichts
bedeuten. Gerne singt man richtig laut mit, die Tonlage ist
wie beim Meister nebensächlich.
Angelangt beim fast zärtlich-verhallenden »Blowin'
In The Wind«, verbessert bis zur Unkenntlichkeit, sind sich
die Zuhörer nicht mehr ganz sicher: Ist es die Interpretation
von 2000 oder eine ganz neue Version? Das altbekannte
Lagerfeuerlied jedenfalls ist es nicht mehr. co
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