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Nachrichten : Kultur |
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13.04.2002 |
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Spiel mir das Lied vom Wind |
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Das scheue Genie altert lächelnd: Bob Dylans großes
Berlin-Konzert in der Arena |
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Rüdiger Schaper |
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Draußen
in Treptow, in den Wassern der Spree, steht der "Molecule
Man", Jonathan Borofskys turmhohe, tonnenschwere und mit ihren
Perforationen doch so leicht dahin schwebende Metallskulptur.
Ein Sinnbild für Bob Dylan, unseren ewigen Bob, der um die
Ecke, in der Arena, ein großes Konzert gespielt hat -
beeindruckender noch als der Auftritt am selben Ort vor zwei
Jahren.
Auf der nach unten offenen Dylan-Skala (man hat
mit ihm schon einiges durchgemacht) steht der Berlin-Auftritt
vom Donnerstag ganz weit oben. So locker, so entspannt, so gut
gelaunt und abgeklärt, ja heiter haben wir ihn wohl noch nie
erlebt. Und das Publikum in der ausverkauften Arena war jünger
und weiblicher (!) als sonst. Man möchte einen ganzen Wald von
Ausrufezeichen hinter diesen Abend setzen. Bob tanzt, Bob
lächelt, Bob schenkt den tobenden Fans - eine Seltenheit -
eine zweite Zugabe, "Highway 61 Revisited", geschliffen
hart.
Der Beginn folgt dem Ritual der never ending
tour: Nach einem akustischen Gospel ("I Am The Man, Thomas")
heißt es gleich "The Times They Are A-changing". Und "It's
Alright, Ma". Man ahnt bald, es wird ein Konzert für Gläubige
und für ungläubige Thomasse. Dylan legt den Finger in die
Wunden des Lebens, und siehe da, es gibt Schlimmeres als das
Altwerden in der Rockmusik. All die legendären Songs aus
Dylans Bundeslade sind im Grunde vertonte Niederlagen, die er
frisch intoniert und in kleine Siege verwandelt. Ein
Innehalten hier, ein wissendes Zögern da - Dylan zitiert,
ironisiert, übermalt sein unerschöpfliches Material, zieht die
Versenden fragend nach oben, einem Wünschelrutengänger in der
Wüste gleich.
Aus dem Fundus seiner zarten
Liebesballaden holt er verträumt flüsternd "Boots Of Spanish
Leather" und, eine Konzert-Rarität, "Visions Of Johanna".
Dylans Band mit den Gitarristen Larry Campbell und Carlie
Sexton und dem Bassisten Tony Garnier, seit zig Jahren
beisammen, zupft die Saiten ebenso animiert wie routiniert.
Der neue Schlagzeuger George Receli, ein richtiger
Shit-Kicker, weckt Erinnerungen an die kraftvollen Drums der
"Desire"-Zeiten. Was das Quintett aus einem alten surrealen
Heuler wie "All Along The Watchtower" an Energie herausholt,
lässt weit blicken.
Im vergangenen Jahr wurde Dylan
sechzig, und es scheint, als habe das scheue Genie all die
Ehrungen und Preise herzlich genossen. "Moonlight" und "Summer
Days" von der "Love And Theft"-CD zeigen den alten Griesgram
als swingenden, nicht enden wollenden Rockabilly, dem auch ein
gemeiner "Lonesome Day Blues" nicht den eleganten Cowboy-Hut
vom grauen Lockenkopf haut. Wie vor Urzeiten, als Bob Dylan
und The Band mit Robbie Robertson sich in den Keller des
Landhauses von Big Pink einschlossen, um die Wurzeln der
amerikanischen Country-, Folk- und Outlaw-Musik anzugraben.
Dylans melodische Harmonika-Intros atmen eine fast spirituelle
Traditionalität.
Aus der Abteilung der
Frauen-Hass-Lieder hören wir das lustige "Leopard-Skin
Pill-Box Hat", aber der schrille Sarkasmus hat sich
abgewaschen. "Like A Rolling Stone" - immer wieder der
beliebteste Dylan-Oldie - bringt ein leicht verfremdetes
Wiederhören mit messerscharfen, bohrenden E-Gitarren, als
wären die Grateful Dead auferstanden. Wenn man was zu meckern
haben will: Die kiss-my-ass-Dandy-Pose früherer Epochen, das
Schnarren und Hochnäseln ist passé. Dylan hat sich in den
tausend Konzerten seiner Alters-Tour vom Verstellungszwang und
der Manie, sich zu verstecken, freigespielt. Was ging
verloren, blieb auf der Strecke? Jener morbider Schrecken,
jene aggressive Untröstlichkeit, die Alben wie "Blood On The
Tracks" unwiderstehlich prägten. Da waren wir jünger,
unglücklicher.
Dylan, unsere innere Uhrzeit, ändert
sich, und wir ändern uns mit ihm. Die Krisen kommen schon noch
wieder. Don't think twice, it's alright; auch das hat im April
2002 eine weiche, endgültig versöhnliche Note. Die Sache mit
dem Protestsänger war schon in den Sechzigern irgendwie ein
Missverständnis. Wenn er heute die "Masters Of War" anklagt,
dann hat es doch einen schalen Geschmack von Gestrigkeit und
Vergänglichkeit. Angst vor "Blowin' In The Wind", dem
Methusalem der Lagerfeuer-Konfirmandenfreizeit-Klampfe?
Unnötig: Sie spielen es so fein und klassisch wie einen
Volkslied-Standard. So war's ja auch. Das Lied vom Wind
klaubte sich der junge Bob aus Überlieferungen einst
zusammen.
Wenn der Tod Ausgang und Ende allen
Kunstgesangs ist, muss einem nicht bange sein. Die baumlangen
Sexton und Campbell flankieren den zierlichen Herren mit dem
gelben Halstuch beim Finale, raunen letzte Atemzüge ins Mikro
- uuhuu, uuuhuuuu -, und dabei laufen im Kopf unsere kleinen
Lebensfilmchen ab. Knockin' On Heaven's Door, und Dylan setzt
nach: like so many times before. - Encore, encore! |
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