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Kultur
Artikel aus
den Stuttgarter Nachrichten vom
18.04.2002
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Die rastlose Wanderikone: Bob Dylan in der
Schleyerhalle Die ganze Karriere in einem
Programm Den dünnen Körper in das Kostüm des
einsamen Cowboys gehüllt, wirkt er aus einiger Entfernung fast
alterslos. Sparsam die Bewegungen, frenetisch der Beifall, ein
Zeremoniell mit einem Hauch von Ewigkeit. Bob Dylan ist während
seiner "Never Ending Tour" zur Wanderikone geworden, zum rastlosen
Troubadour, der von einer fernen Zeit kündet.
VON HENNING
DEDEKIND
Der Welt oberster Rockpoet ist ein häufiger Gast
hier zu Lande. Nicht ganz so gut besucht wie beim letzten Mal ist
daher sein Auftritt in der Stuttgarter Schleyerhalle. Als ob sich
manch einer nur vergewissern wollte, dass es ihn tatsächlich noch
gibt. Den Troubadour kümmert das freilich wenig. Dylan spricht
ohnehin nicht gerne mit seinem Publikum und entzieht sich so aller
Zahlenspiele.
Fest vertäut im Korsett einer schlafwandlerisch
sicheren Begleitband begibt er sich auf eine fast
zweieinhalbstündige Reise durch seinen großen musikalischen Fundus,
von frühen Songs wie "The Times They Are A-Changing" bis zu den
Titeln des neuen Albums "Love & Theft".
Stilistisch
streift er dabei alle Facetten typisch amerikanischer Musik, fasst
seine gesamte Karriere in einem Programm zusammen. Dylan, der ewig
Unentschlossene, beginnt sein Konzert in Stuttgart mit zarten
Folk-Klängen in rein akustischer Besetzung, um dann zu elektrischen
Instrumenten und purem Rock "n" Roll zu wechseln.
Im Gesäusel
der Pedal-Steel-Guitar entstehen Träume von weiter Prärie, die nur
noch die Hymnen im Zugabenteil ablösen können. Auch die
Enkelgeneration singt und klatscht mit, wenn Dylan sein "Like A
Rolling Stone" anstimmt. Eine derartige Resonanz ist gar nicht
schlecht für einen, der schon in den 60er Jahren verehrt
wurde.
Ähnelte der Gesang des Barden bis vor einigen Jahren
noch einer krächzenden Sinuskurve, so hat sich dies inzwischen
dramatisch verändert. Dylan, der regelmäßig seine vokalen Techniken
über den Haufen wirft, hat endgültig die Heiserkeit für sich
entdeckt. Die genießt er nun in lang gezogenen Silben, röchelt und
gurgelt mit hörbarem Genuss. Ein alter Geschichtenerzähler ist er,
dessen Worte so noch bedeutungsschwangerer klingen.
Vieles
gerät dadurch leider zum heiteren Titelraten, wie bei dem bis auf
den Gitarrenpart unkenntlich gemachten "It"s Allright, Ma".
Neuversionen unvermeidbarer Klassiker bieten für Künstler wie für
Fans in der Regel eine willkommene Abwechslung. Doch hier übertreibt
der Meister in Stuttgart. Das neue Gewand will einfach nicht jedem
Liedlein stehen. Mit experimentellen Phrasierungen zerstückelt Dylan
eigene Werke, bläst andere künstlich auf, wie beispielsweise das
dürftig ausgestattete Stück "Simple Twist of
Fate".
Geniestreich oder Fehlgriff - die Diskussion um Dylans
Live-Konzerte ist alt. Auch in der Schleyerhalle gibt es ratlose
Gesichter und viele Freudentränen. Ob uns die rastlose Wanderikone
Bob Dylan, die sich mit einem kurzen Nicken von der Bühne
verabschiedet, aufrütteln oder zum Narren halten will, bleibt
konsequent offen - als Teil einer stillen Vereinbarung zwischen dem
Meister und seinen Anhängern, die weiterhin um eine Botschaft
rätseln dürfen. Die Antwort weiß - um mit einem seiner vielen
Klassiker zu sprechen - ganz allein der Wind. Aktualisiert: 19.04.2002, 06:34
Uhr
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