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Kultur
Artikel aus
der Stuttgarter Zeitung vom
18.04.2002
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Das Leben im
Lied Bob Dylans Konzert in der
Schleyerhalle Das könnte ein Song sein. Aus der
lecken Feder von Bob Dylan geflossen, wahrscheinlich in den
sechziger Jahren, surreale Phase. Der größte Dichter, der je eine
Gitarre in der Hand gehalten hat, hätte dem Lied einen Titel
verliehen: vielleicht "Jungbauernball in Mississippi". Und das wäre
in dem Song passiert: Der Boss, der zum schwarzen Anzug einen weißen
Cowboyhut trägt, hat die Buben in weinrote Uniformen gestopft. Die
lassen es dennoch flott angehen, was den Boss wiederum dazu
verleitet, mit dem linken Knie zu kreisen. Er singt sich warm für
ein Konzert quer durch sein Leben. Die Weinroten jedoch spielen
Hillbilly dazu.
Das ist kein Song. Das ist das Leben, weil in
der Rockmusik das Leben manchmal auf einer Bühne spielt. Mit weinrot
uniformierten Musikern und dem obskuren Lied "Hallelujah, I"m ready
to go" eröffnet Bob Dylan auf surreale Weise einen Abend von
unzähligen auf einer unendlichen Tour - den in der Schleyerhalle.
Und während der Meister der Verwirrung bei seinen Eröffnungsnummern
gerne in den Müllbergen seiner musikalischen Ahnen stöbert, wählt er
als Song Nummer zwei seiner allabendlich wechselnden Songprogramme
mit erstaunlicher Sturheit am liebsten "The Times they are
a-changin".
Das Lied ist ein Gradmesser für Dylans
Befindlichkeit. In den Sechzigern sang er es aufbrechend, fordernd,
presste es sozusagen an einer im Kehlkopf versenkten, revolutionär
gereckten Faust vorbei. Vor zwei Jahren jedoch brachte Dylan das
Lied in Stuttgart resignierend wie selten zuvor. So, als ob sich nie
was ändre. Nun aber zwinkert des Dichters Stimme keck von der andren
Seite: Was immer sich da ändern mag - alles nicht so schlimm. Diese
Gelassenheit, diese Weisheit auch ist es, die den Song Nummer drei
dominiert: "It"s alright, Ma (I"m only bleeding)" gerät Dylan zur
geradezu demutsvollen Dankbarkeitshymne. Der Ausdruck: Überraschung.
Ich blute, doch ich lebe. Die Stimme: röhrender Hirsch, sehr stark
blutend.
Bob Dylans Stimme, die ihre Faszination zuletzt vor
allem aus ihrer röchelnderweise suggerierten Nähe zum Jenseits
bezog, hat an Ausdruckskraft noch zugelegt. Wenn dem Sänger danach
ist, dann würgt er Worte. In "Cry a While" vom aktuellen Album "Love
and Theft" tut er dies mit solcher Vehemenz, dass man Erbrochenes zu
riechen meint, als das Lied verhallt ist. Dann wieder gurgelt er,
sägt er, um später mit verblüffender Klarheit zu flöten. Den Refrain
von "A hard Rain "s a-gonna fall" etwa fantasiert er gurrend mit
solch ungetrübten Flötentönen, die galgenhaft in die Höhe gezerrten
Endsilben von "Blowin" in the Wind" ebenfalls. Bob Dylans Stimme ist
vollends zum porös passierten Hufeisen im Feuer eines recht
bekifften Schmiedes geworden. Wenn der will, wird ein eisernes Lasso
draus, das alles umfängt, zusammenschnürt, auf den Punkt
bringt.
Zentrifugenhaft ins Zentrum seiner Kunst geglitten,
gelingt es Dylan, die Gelassenheit aufzubringen, die "It"s alright,
Ma" zu einem Überraschungssong macht und ein Konzert zu einem
fulminanten Konzert. Selten war er so entspannt, so großartig und
gleichzeitig so unspektakulär und gestenkarg. Kein ergriffener
Kniefall mehr - dafür schamlos genossene Musik, viel Blues, viele
rüde, schnelle Nummern. Bisweilen gar lüsternes Lärmen der perfekt
eingespielten, vom Bassisten Tony Garnier allzeit auf Kurs
gehaltenen, weinrot gewandeten Band. Sie prügelt Riffs vor sich her,
in "Rainy Day Woman # 12 & 35", und Dylan stolpert rein in den
Song, um dann so energisch zu nölen wie lange nicht mehr.
Er
stolpert auch in "Like a rolling Stone" und macht ein wunderbares
Spiel daraus. Hase und Igel, Bob und Band, Bob und das Business.
Herrlich, wie er dem Takt hinterherstrauchelt, ihn einholt, überholt
und irgendwann verschmilzt. Alles ist seins, alles ist gut, einer
darf alles, und alles gelingt: Bob Dylan singt eine betörend schöne
und zarte Version von "Simple Twist of Fate", er kreischt und bellt
in einen apokalyptisch aufbrechenden "Highway 61 revisited" hinein,
er liebt bedingungslos in "Tomorrow is a long Time".
Morgen
ist nicht mehr ganz so weit weg, für einen sechzigjährigen Rockstar,
der auf seinem letzten, an jenem 11. September 2001 erschienenen
Album verkündet hat: "The future for me is already a thing of the
past." Und manchmal muss morgen gestern sein: Dylans sympathisch zur
Schau gestellte Entspanntheit äußert sich nicht zuletzt in seiner
Songauswahl. Endlich wieder singt er "Every Grain of Sand", ein
Vertrauen erweckendes musikalisches Juwel, entstanden in der kurzen,
aber intensiven christlichen Missionierungsphase des überzeugendsten
aller Nonkonformisten. Und dann singt er, Kompass wie eh und je,
seine "Masters of War".
Kein Lied an diesem Abend artikuliert
der Sänger so deutlich wie das vierzig Jahre alte, im Vergleich zu
späteren poetischen Wundertaten recht simpel zusammengereimte
Traktat gegen die Rüstungsindustrie. Der Tänzer, der Dichter, der
weinrot umrankte Bluesmusikant will gehört werden - immer noch. Doch
wenn er am Ende des Lieds, singenderweise, am Grab eines solchen
"Masters" ausharrt, um sich dessen Todes zu versichern, dann mischt
sich mit der Wut des jungen Mannes die Weisheit des sehr viel
älteren. Das ist ein Song. Das ist aber auch das Leben.
"May
your song always be sung, may you stay forever young" hat Bob Dylan
schon im Lied "Forever young" geschlossen. Er tut das Seine. Er
singt, und er stopft wie kaum ein anderer das Leben ins
Lied.
Von Michael Werner Aktualisiert: 19.04.2002, 06:33
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