Poetry is Rock'n'Roll is Poetry
Eine umfassende Anthologie des musikalischen
Schaffens von Patti Smith ist erschienen
Patti Smith schreibt mittlerweile über ein Vierteljahrhundert
Musikgeschichte. Mit «Land» ist nun erstmals eine Anthologie ihres
Schaffens erschienen.
Rudolf Amstutz
«Horses» ist eines jener Alben der Rockgeschichte, die als
epochal gelten. «Horses» der Patti Smith Group erschien 1975 und
verkaufte sich bis heute bescheidene 350 000-mal. Es war jene Zeit
nach Velvet Underground, in der sich eine neue frische Szene in
Downtown New York formierte. Im «CBGB's», jenem legendären Club an
der Bowery im East Village, gaben sich Bands wie Television, The
Ramones und Blondie die Ehre. Und unter ihnen war Patti Smith die
ungekrönte Königin.
«Horses» zeigt Smith als androgynes Wesen,
weisses Hemd, Krawatte. Eine Hommage an Frank Sinatra, Arthur
Rimbaud und Bob Dylan hätte es gleichermassen sein sollen. Mit dem
Fotografen des Albumcovers teilte sich Smith damals ein Appartement.
Er hiess Robert Mapplethorpe und das Bild selbst gehört mittlerweile
in jedes Standardwerk der Fotogeschichte.
Kultureller Austausch
Patti Smith hat von 1975 bis heute nur acht Alben veröffentlicht.
Der wahre Stellenwert ihres Beitrages zur amerikanischen
Kulturgeschichte ist allerdings wesentlich umfassender als ihre
Diskografie. Angefangen hat sie als Zeichnerin. Schon als kleines
Kind. Später hörte sie Musik von John Coltrane über Little Richard
bis Giuseppe Verdi, sie las William Blake und Arthur Rimbaud. Aus
den poetischen Bildern wurde bildhafte Poesie, aus der innigen
Freundschaft mit Mapplethorpe ein kultureller Austausch über die
traditionellen Kunststile hinweg: William Burroughs (er nannte sie
eine «Schamanin»), Andy Warhol, Bob Dylan - die Kunst vermischte
sich in Downtown New York und Smith schien zur zentralen
Sammelstelle zu werden. «Land», die jüngst erschienene und erste
Anthologie des musikalischen Werkes, präsentiert am Ende der zweiten
CD einen Ausschnitt aus einer Lesung am Neujahrstag 2002 in der New
Yorker St.-Marks-Kirche. Seit ihr Burroughs 1971 an diesem Ort ihren
ersten Auftritt als Poetry Artist ermöglichte, kehrt sie jährlich
dorthin zurück. Aus der Poesie wurden Auftritte, aus den Visionen
Realität, aus dem Engagement Protest und aus der Wut die Musik mit
der Würde des alten Rock'n'Roll und der unbändigen Kraft des Punk.
«Land» lässt auf der ersten der beiden CDs die Karriere von Patti
Smith Revue passieren. Von «Horses» bis «Gung Ho», ihrem letzten im
Jahr 2000 erschienenen Werk. Ausgewählt wurden die versammelten
Songs inklusive ihres bis heute einzigen Hits («Because The Night»
1978) von Fans und Bekannten und von der Band ergänzt mit einer
unwiderstehlichen Version des Prince-Klassikers «When Doves Cry».
Kompromisslos
Doch die Essenz der Künstlerin wird durch das illustrierte
Booklet und die zweite CD transportiert. Die zahlreichen
Live-Aufnahmen zeigen die Unmittelbarkeit und Intensität der Band,
die wie eine Jazzformation funktioniert mit Smiths unverkennbarer
und eindringlicher Stimme als Leadinstrument. Dort, wo die
stilistischen Grenzen verschwimmen zuguns-ten einer kompromisslosen
Haltung, dort ist Patti Smith zuhause. Daran hat sich bis heute
nichts geändert. Die heute 55-Jährige hat in den letzten Jahren
ihren Freund Mapplethorpe verloren, ihren Bruder und ihren Ehemann,
den Gitarristen Fred «Sonic» Smith, hat Kinder grossgezogen und
gemeinsam mit Bandleader Lenny Kaye die Patti Smith Group
unermüdlich und leidenschaftlich durch die Clubs und Konzerthallen
dieser Welt geführt. Andere sind in dieser Zeitspanne der
Peinlichkeit verfallen - sie hat die Wut von «Horses» mit der
Weisheit des Alters ergänzt. Während ihre Bilder längst im MoMA in
New York hängen, ist sie «on the road» geblieben. Dort, wo sie
hingehört: Poetry is Rock'n' Roll is Poetry.
Patti Smith: «Land
(1975-2002)» (Arista/ BMG)