Der Tribut ans
Anforderungsprofil
Bob Dylan war da. 3500 Konzertgäste
erlebten am Dienstag in der Innsbrucker Olympiahalle den
aktuellen Meister-Zustandsbericht.
Von PETER
PLAIKNER INNSBRUCK. "Can you tell me what we’re
waiting for, Senor?" Vorwurfsvoll empfängt der Schlussrefrain
die Nachzügler. Das Klassentreffen hat schon begonnen. Der
Oberlehrer ist pünktlich und korrekt. Schwarzer Anzug, weißes
Hemd und Schlips. Die Maturajahrgänge 1970-1985 lauschen
verzückt in Jeans und Leder.
Der emeritierte
Oberstudienrat für Popkultur geleitet seine Schüler behutsam
zurück in ihre Vergangenheit. Erst spaziert er mit
Akustikgitarren und Kontrabass gemütlich über die "Desolation
Row", bevor eine gnadenlose E-Saitendresche auf dem "Highway
61" der Zeitreise die Romantik raubt.
Da ist der
programmatische Höhepunkt des Abends schon abgehakt: "Ah, but
I was so much older then, I‘m younger than that now." Bob
Dylan blättert in seinen "Back Pages". Stimmlich nahe an
Screamin’ Jay Hawkins und Tom Waits. Begleitet von einem
Quartett, das fast schon so das seinige ist, wie es The Band
einst war.
Ungeachtet der Songs von seinem guten neuen
Album "Love And Theft" bleibt das Programm des 60-Jährigen die
Vergangenheit. 1991 hat er hier das nostalgische
Anforderungsprofil mit wütend-konsequenter
Evergreen-Zerstörung beantwortet. Inzwischen tscheppern Dylan
und die Halle noch mehr um die Wette. Doch der Meister ist
entgegenkommender, seine Jünger sind spielfreudiger. Das
heitere Liederraten - aufgrund der Intro-Takte - gehört zum
Konzertritual. Danach hilft die Internet-Homepage mit der
Funktion Search The Lyrics weiter.
Die Inkarnation des
Protestsängers war immer auch ein Spezialist für
Selbstvermarktung. Also gilt das strikte Fotografierverbot
natürlich nicht für den eigenen Videofilmer auf der
Bühne. Derweilen entkleidet der Chefideologe zwischen
Säuseln und Krächzen kippend den "Mr. Tambourine Man" aller
Byrds-Lieblichkeit und zeigt Bryan Ferry, was eine Harke ist.
Der hatte Montag nachts "Don’t Think Twice, It’s All Right"
live für den TV-Treffpunkt Kultur gestylt. Dylan schnarrt den
Schmalz wieder weg. Ein Favoritensieg in der Champions
League.
Im Posenwandel von Gitarrero-Viererkette zum
Fotzhobel-Mittelsturm geht’s ins Finale. "I Believe In You",
"Love Sick", "Like A Rolling Stone", "Blowin’ In The Wind".
Die fast zweieinhalbstündige Zickzacktour durch vier
Jahrzehnte hat ihre Endstation Sehnsucht
erreicht.
Dylan 2002 ist die schräg-schöne Erinnerung
daran, dass er uns einst beigebracht hat, dass Popmusik mehr
sein kann als Unterhaltung. Sein Repertoire wirkt heute noch
als bester Beweis dafür. Am Schluss haben zwar einige schon
von Real und Barcelona geschwätzt. Aber so war das immer
schon, wenn der Unterricht lange dauert.
2002-04-24
20:00:15
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