Oberhausen. Man kann das ja so sehen: Da
spielt eine solid-professionelle, aber nicht umwerfende
Vier-Mann-Band (zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass) ein wenig Country,
Swing und Rockabilly, mehr Folk und Rock sowie ganz viel Blues. In
der Mitte steht ein schwarz gekleideter 60-Jähriger mit
Mundharmonika, krächzt und nuschelt Unverständliches ins Mikrofon,
in Melodiebögen, die ganz entfernt an Lieder erinnern, die man
früher einmal gekannt hat. Man kann das so sehen. Aber die Menschen
in der gut gefüllten Oberhausener Arena sahen und hörten das am
Samstagabend ganz anders: Sie erlebten Bob Dylan.
Klar, man muss die Lieder schon sehr gut
kennen, um zu erkennen, dass auf "You´re A Big Girl Now" "Desolation
Row" folgt und auf "Don´t Think Twice" "Watching The River Flow".
Und wer die Texte nicht im Kopf hat, dem wird sich nicht
erschließen, was der krähenartige Mann mit dem Stetson singt. Aber
bei Dylan kommt es auf das Wie an, hat schon vor 30 Jahren John
Lennon gesagt. Und wie ist es?
Immer verstörend Spöttisch, ironisch wie
einst, aber weniger schneidend und kalt, weniger zornig, eher
melancholisch gelassen, wärmer, dunkel grollend, bisweilen zärtlich.
Immer verstörend. Alle drei Sekunden anders. Bei Dylan gibt es nur
eine Garantie: Dass er diese Strophe gerade jetzt noch nie vorher
genau so gesungen hat und sie nie wieder genau so singen wird. Jedes
Lied - ob "Leopard-Skin Pillbox Hat" oder "Subterranean Homesick
Blues" - klingt jedes Mal aufs neue wie im Moment erfunden, es ist
kein Platz für Klischees und Sentimentalitäten. Der Mann will sich
schließlich nicht langweilen.
Aber er will auch - das war früher anders -
sein Publikum bedienen. Deshalb gibt es neben ein paar Stücken vom
neuen Album "Love and Theft" vor allem Material aus den 60ern. Wie
also wird er heute den Antikriegssong "Masters of War" anlegen?
Gelassen. Heiter fast. Am Ende jeder Zeile hebt er ironisch die
Stimme. Und dieser Manierismus scheint ihm so zu gefallen, dass er
ihn auch für "Tangled up in Blue" benutzt. Das wirkt öde. Und
dadurch erst wird einem die Intensität der anderen Interpretationen
bewusst.
Wechselbad der Gefühle Ein Dylan-Konzert ist
immer ein Wechselbad der Gefühle. Mal wirkt der fahrende Sänger, der
heimatlos Suchende, seit 15 Jahren auf Nonstop-Tour, ganz heutig,
wenn er bitter singt: "Ich pflegte mich zu kümmern, aber die Dinge
haben sich geändert" ("Things Have Changed"). Dann wieder wirkt er
wie ein Abenteurer aus einem Schwarzweiß-Western. Er war einst auf
der Höhe der Zeit, weil er ihr knapp voraus schien. Heute wirkt er
wie aus ihr gefallen, ohne Verbindung, unzeitgemäß, vielleicht
gerade deshalb aktuell.
Dylan macht einfach weiter. Was soll auch
einer tun, dessen Worte seit 40 Jahren behandelt werden wie die
eines Propheten? Er hat versucht, sich zu verstecken. Nun steht er
200 Abende im Jahr vor Publikum. Vielleicht versucht er das
öffentliche Verschwinden. Wie in "Like a Rolling Stone": "Du bist
jetzt unsichtbar, hast keine Geheimnisse mehr zu verstecken." Aber
Geheimnisse umwabern die alte Sphinx Dylan genug. Man bleibt so
ratlos wie zuvor. Die Antwort kennt ganz allein der Wind. Das war
die letzte Zugabe nach 140 mal begeisternden, mal nervigen, stets
hochlebendigen Minuten, "Blowin´ in the Wind". Natürlich nicht zum
Mitsingen. 28.04.2002 Von Harald Ries |