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Kultur Verstehen Sie
Dylan? Von
Philipp Tingler
Mythos Bob Dylan: Was
dran ist an der Stimme einer Generation
Unlängst war ich zu Besuch bei meiner Tante Doris,
APO-Veteranin der ersten Stunde. Doris erzählte mir von der
Lebenspartnerin ihres Sohnes Nick und fügte hinzu, was für eine irre
interessant aussehende Frau das sei. «Ist es die hier?», fragte ich und
nahm ein Bild vom Schreibtisch meiner Tante. «Nein», antwortete Doris,
«das ist Bob Dylan.»
Dass Bob Dylan immer mehr aussieht wie eine
kleine verschrumpelte Frau, wird nie erwähnt. Ansonsten ist über diesen
Künstler schon jede Menge gesagt worden, in der Regel von
Kultursachverständigen, die selbst gern Künstler wären. Ich kann mich also
kurz fassen: Bob Dylan ist knapp 61 Jahre alt. Er wurde in den frühen
sechziger Jahren mit politischen Protestliedern bekannt. Inzwischen hat
Herr Dylan über 600 Songs verfasst und diverse Auszeichnungen
eingestrichen, darunter einen Oscar und den Ehrendoktor der Universität
Princeton. Er hat angeblich mit Henry Miller Tischtennis gespielt und die
Beatles mit Haschisch bekannt gemacht. Er hat sich als Buchautor,
Schauspieler und Regisseur versucht. Seine Haare schreien nach einer
Kurspülung. Seine Freundin Joan Baez nannte ihn «the unwashed
phenomenon».
«Durch seine Karriere zieht sich eine Abfolge von
Provokation, Rückzug und Wiederkehr», schreiben die so genannten
Rocktheoretiker über Bob Dylan. Damit meinen sie, dass Herr Dylan ein paar
Kehrtwendungen hinter sich hat und irgendwie schwer zu fassen ist. Er ist
im Laufe von vierzig Jahren u.a. als Bürgerrechtskämpfer, als christlicher
Erlösungsprediger und als bekennender Zionist aufgetreten. Oft wird von
der Maskenhaftigkeit seiner Erscheinung gesprochen. Diese sei nicht bloss
ein Mittel zur Prominenzsteigerung, sondern eine Spiegelung von Dylans
Kreativität. Woran sich faszinierende psychologische, poptheoretische und
kulturgeschichtliche Deutungen knüpfen lassen. Die unendliche Analyse von
Bob Dylans «schillernder Selbstverhüllung» gipfelt in Erkenntnissen wie:
«Er hat keine Ahnung, was er eigentlich meint.»
Die meisten Artikel
über Bob Dylan sind damit befasst, die ambivalente Haltung ihrer Verfasser
zu Herrn Dylan nachzuzeichnen. Denn Ablehnung wäre zu einfach und
Bewunderung zu unkritisch. «Und man kann Bob Dylan nicht gleichgültig
gegenüberstehen.»
Falsch. Ich kann nichts dafür, aber meine
Teenie-Jahre fielen, rocktheoretisch gesprochen, in die «yuppiefizierten
Achtziger», und da beschäftigte man sich mehr mit Äusserlichkeiten wie
Nenas puscheligen Achselhöhlen, und daher war mir Bob Dylan ziemlich
piepe, und das sollte im Laufe meines oberflächlichen, konsumorientierten
Lebens auch so bleiben. Deshalb bin ich irre unvoreingenommen. Vollkommen
unbelastet stand ich letzte Woche an der Kasse mit meiner ersten
Bob-Dylan-CD: «Bob Dylan – The Ultimate Collection» («aus der Funk- und
TV-Werbung»).
Natürlich versteckte ich die ein bisschen, man will
ja nicht als alter Hippie-Knacker oder verkrachter
Globalisierungsverlierer gelten. Aber ich hörte die CD noch nicht. Erst
las ich noch ein bisschen. Bob Dylan ist immerhin als «geradezu archaische
Verkörperung des Dichters» beschrieben worden, ja gar als «grösster
Dichter aller Zeiten» (Grödaz). 1996 hat ihn Gordon Ball, Professor am
Virginia Military Institute, für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen.
Immer wieder ist die Rede davon, wie beziehungsreich Herr Dylan sein
Material aufbereite, wie er in seinen Texten ein Gesamtwerk erschaffe,
unter Rückgriff auf Volkslieder, biblische Psalme, ägyptische Hieroglyphen
und die Dialoge des Film noir, unter Einbezug von Alltagsphrasen und
Strassenschildern, Kinderreimen, Neoninschriften, Humphrey-Bogart-Zitaten,
Volksweisen und der Lyrik von Arthur Rimbaud. «Ganz weit im Hintergrund
sind auch die mündlichen Traditionen Afrikas erhalten geblieben», weiss
die Zeit. Zum Glück! Wir hatten schon Angst, die wären verloren gegangen!
Dazu werden Dylan-Zeilen zitiert wie «Wir leben in einer politischen Welt
/ unter dem Mikroskop / du kannst überall hinreisen und dich dort
aufhängen / Stricke gibt’s genug» – vom Rezensenten begeistert begrüsst
als Beleg für die «programmatische Zusammenführung des Prinzips Hoffnung
und des Realitätsprinzips Verzweiflung». Dann hören wir ein
Klingelzeichen. Die Bullshit-Skala hat ihren Maximalausschlag erreicht.
Aber vielleicht bin ich bloss zu blöde. Vielleicht entgeht mir der
«komplexe Subtext», «der ans Licht strebende gnostische Text» und so
Zeugs.
«Kojote im Stacheldraht»
1987 singt
Bob Dylan mit Michael Jackson ein Duett zum 55. Geburtstag von Elizabeth
Taylor. Mit Michael Jackson hat Bob Dylan vor allem eins gemein: Es ist
leicht, sich über ihn lustig zu machen. Er ist keine Schönheit und hat
keinen Glamour. Dafür finden manche, er sei die Stimme einer Generation.
Dass diese Stimme hübsch klinge, behauptet hingegen niemand. Oft zitiert
wird die Wendung vom «Kojoten im Stacheldraht»; Bob Dylans «nasales,
ammoniakscharfes» Organ sei «halb Bellen, halb Werksirene». Der
Metaphernreichtum kennt keine Grenzen. Das Wohlwollen auch nicht. Bob
Dylans Stimme, «in deren brüchiger Textur alle Farben des Herzens
irisieren, ist von magischer Präsenz», schreibt die Neue Zürcher Zeitung,
mein Lieblingsblatt. Rosamunde Pilcher hätte das nicht schöner sagen
können!
Denn ebenso leicht, wie man ihn ridikülisieren kann, lässt
sich Herr Dylan auch vereinnahmen. Daran ist er selbst nicht unschuldig.
Am 20. Februar 1991 erhielt Bob Dylan bei der Grammy-Verleihung einen
Lifetime Achievement Award für sein Lebenswerk. Es war Golfkrieg, Herr
Dylan kam auf die Bühne und sang, wie billig, «Masters of War» aus dem
Jahre 1963, seinen mutmasslich unerbittlichsten, schärfsten Antikriegssong
(andere Sachverständige halten dessen «plumpe, romantische» Verse
allerdings für «peinlich naiv»). Und ein paar Poptheoretiker überschlugen
sich vor Jubel, weil für sie diese Darbietung ausdrückte, dass «das
wirkliche Leben anderswo stattfand». Nun war es allerdings sehr einfach,
gegen den Golfkrieg zu sein und sich dabei überlegen vorzukommen. Es ist
ebenfalls sehr einfach, den Auftritt von Bob Dylan bei der Inauguration
von Bill Clinton 1993 mit dem Auftritt des Latino-Schlagersängers Ricky
Martin anlässlich der Amtseinführung von George W. Bush zu vergleichen und
in Letzterem «eine fröhliche Hymne an die Gedankenlosigkeit des
beginnenden 21. Jahrhunderts» zu erkennen. In der Konsequenz heisst das:
Wenn Ricky Martin vor Herrn Bush auftritt, ist dies entsetzlich, wenn der
«konservative Rebell» Bob Dylan, wie dreieinhalb Jahre zuvor, vor dem
Papst singt, dann ist das irgendwie interessant.
«I’m just a guitar
player» – vielleicht sollte man das mal für bare Münze nehmen. Die CD ist
gar nicht so schlecht. Okay, ein paar neuere Sachen klingen wie
Middle-of-the-road-Dire-Straits-Horror, und «Not Dark Yet» könnte Bruce
Springsteen besser singen, und, okay, natürlich ist die Mundharmonika ein
furchtbares Instrument, und natürlich ist viel Blues dabei, eine
Stilrichtung, die der New Musical Express unlängst als «the most boring
music ever» kennzeichnete. Trotzdem gefällt mir der «Subterranean Homesick
Blues». Und heute summe ich den ganzen Tag «Like A Rolling Stone» vor mich
hin. Und wenn Bob Dylan vielleicht auch bloss berühmt wurde, weil in den
frühen Sechzigern gerade Bedarf an Protestliedern bestand, so muss man ihm
doch Kredit geben für das, was er machte, als er jung war. Und vielleicht
ist er wirklich ein konservativer Rebell, ein einzelgängerischer Antiheld,
dem Medien und Kommerz nicht so wichtig sind. Solche folgen nicht nach.
Oder? Die Antwort weiss, wieder einmal, nur der Wind.
Bob Dylan
singt am 21. April um 20 Uhr im Zürcher Hallenstadion
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