Und sagte kein einziges Wort
Was raunen die Geister? Auf zum Comeback des Obergeistes! Mit
Mundharmonika und gut geölter Stimme hat Bob Dylan in Hamburg
seine Deutschlandtournee eröffnet
Das ist eine unnahbare Gang, die da auf der Bühne steht. Vier
Männer in bordeauxfarbenen Anzügen, in ihrer Mitte Bob Dylan im
schwarzen Zweiteiler mit großem Cowboyhut und spitzen
Cowboystiefeln. Eine schmucklose Bühne ist das, auf der diese fünf
Männer ihr Handwerk betreiben, es gibt nur eine sehr reduzierte,
aber effektive Lightshow. Die Band wirkt, als wäre sie einem
vergangenen Jahrhundert entstiegen, direkt aus dem Wilden Westen,
Instrumente in der einen Hand und eine Bibel und Shakespeares
Gesammelte Dramen in der anderen. Während des gesamten Konzerts sagt
der Sänger kein Wort zum Publikum. Mit seiner Band kommuniziert er
über Handzeichen. Fünf Finger, das heißt noch fünf Takte, dann endet
das Stück im Rock-n-Roll-Tusch. Was blinkt denn da so? Auf dem
Gitarrenverstärker Bob Dylans steht der Oscar, den er im vergangenen
Jahr für seinen Filmsong "Things Have Changed" verliehen bekommen
hat.
In der Hamburg-Alsterdorfer Sporthalle hat Bob Dylan am Dienstag
seine diesjährige Deutschlandtournee eröffnet. Es war ein tolles,
energiegeladenes Konzert, trotz dieser sterilen Halle. Er hat im
Gegensatz zu Stockholm, Oslo und Kopenhagen in den Tagen zuvor
nicht, wie es sich einige wohl gewünscht haben, "Man of Constant
Sorrow" gespielt, und er hat auch nicht "Saved" gespielt, die seit
zwölf bzw. zwanzig Jahren nicht mehr in der Setlist eines
Dylan-Konzerts gestanden hatten.
Stattdessen spielte Dylan in Hamburg den "Subterranean Homesick
Blues", einen Song, den er bestimmt seit mindestens ebenso langer
Zeit nicht gebracht hatte. Er traute sich so selten daran, weil er
nicht wirklich groovt. In Hamburg versuchten Dylan und seine Band es
mit einem neuen Arrangement, und die Chose lief wie geschmiert.
Andere bemerkenswerte Songs der insgesamt 20 Stücke umfassenden
Hamburger Show waren Versionen von "Girl From The North Country", "A
Hard Rains A Gonna Fall", "Mama, Youve Been On My Mind", sowie vier
Songs aus dem neuen Album "Love And Theft".
Ganz offensichtlich befindet sich Dylan seit 1998 in einem
Formhoch. Er singt mit gut geölter Stimme, kraftvoll, bestimmt und
Respekt einflößend, und öfter spielt er sogar Mundharmonika. Die
perfekt eingespielte Band - durch Blickkontakt dirigiert von Bassist
Tony Garnier - ist sensationell tight. Der Entwurf Bob Dylan im Jahr
2002 hat in diesem Sinne viel mit Jazz zu tun. Geradezu kubistische
Gitarrensoli sind das, die Bob Dylan immerfort intoniert, er hat sie
immer schon so gespielt, aber endlich gibt es eine Band, die diesem
Freestyle - überraschende Akkordfetzen, abgehackte Pickings und
arhythmische Figuren - souverän zu begegnen weiß. Mit Standbass,
Mandoline und Jazzschlagzeug im akustischen Teil und E-Gitarren und
wütend gespielten Drums im elektrifizierten Teil des Sets.
Schade eigentlich, dass Dylan in Hamburg den "Man Of Constant
Sorrow" nicht gespielt hat, obwohl er die drei Konzerte zuvor im
Programm stand. Das ist zwar einerseits typisch, weil unberechenbar.
Andererseits schade, weil gerade die Aufnahme dieses Songs ins
aktuelle Liedrepertoire die Abgezocktheit Dylans offenbart: Vor fast
genau 40 Jahren hatte Dylan diesen traditionellen Folksong als
20-Jähriger für sein erstes Album im Studio eingespielt und danach
nur sehr selten auf Konzerten gebracht. Dass sich Dylan dieses Songs
gerade heute wieder erinnert hat, liegt sicherlich daran, dass
dieser Song in dem Gebrüder-Coen-Film "Oh Brother, Where Art Thou?"
eine tragende Rolle spielt und der Soundtrack eine fast schon
hysterische Begeisterung für Country- und Bluesmusik in den USA
hervorgerufen hat. Wenn Dylan diesen Song in ausgerechnet dem
Arrangement spielt, in dem George Clooney den Song im Film gesungen
hat, dann ist das ein interessantes Spiel, weil Humor und Berechnung
ungewohnt nahe beieinander liegen.
Und Dylan spielt den Song nicht. Macht nichts. Hamburg 2002 war
dennoch eine kraftstrotzende Show. Einen Song lang warf die Band
übrigens große Schatten an die Hallenwand. Wie Gespenster sahen
diese Silhouetten aus, wie herbeigerufene Geister aus einer
vergangenen Zeit, mit dem Umriss eines Obergeistes mit Cowboyhut in
der Mitte. Was sagen uns die Geister, was ist ihre Botschaft? Das
ist das Comeback des Obergeistes. MAX DAX
taz Nr. 6722 vom 11.4.2002, Seite 16, 145 Zeilen
(Kommentar), MAX DAX, Rezension
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